Milliardengrab „Atomkraft-Umlage“
Mit (zusätzlichen) 42 Millionen Euro beteiligten sich alle Bundesbürgerinnen und Bundesbürger am Bau eines zweiten Sarkophags zur Sicherung der Reaktorruine Tschernobyl. Die Aufwendungen für die Lagerung und Sicherung der hochradioaktiven Abfälle in Deutschland in Milliardenhöhe werden ebenfalls den Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern aufgebürdet. Noch Generationen von Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern werden Milliarden für den Rückbau bestehender Atomkraftwerke zahlen. Dennoch behaupten bundesdeutsche Politiker immer noch, die Erneuerbaren Energien seien die Kostentreiber.
Atomkraft nützt nur wenigen, in erster Linie den Stromkonzernen. Die Kosten, Risiken und Folgen dieser Technik tragen dagegen alle Bundesbürgerinnen und Bundesbürger. „Die großen Energieversorger haben die Energiewende in den vergangenen zehn Jahren verschleppt. Sie haben nicht auf Erneuerbare gesetzt und werden mit ihren alten Technologien jetzt zum Auslaufmodell. Jetzt die Energiewende für alle Probleme - ob höhere Kosten oder Jobverluste - in Haftung zu nehmen, ist für die Konzernspitzen natürlich schön einfach, dann sind sie nicht verantwortlich. Aber es stimmt einfach nicht. Sie haben ihre Probleme zum größten Teil selbst verschuldet und gehören dadurch kurzfristig zu den Verlierern der Energiewende“, erläutert Greenpeace- Energieexperte Andree Böhling das anhaltende Interesse der Energiekonzerne an der Atomkraft.
Zu den erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten der Hochrisikotechnologie Atomkraft (Unfälle, radioaktive Emissionen Atommüll, …) kommen noch die gravierenden Gefahren für Leib und Leben von Menschen und die Natur, die bislang eher unter- als überschätzt wurden, wie eine Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz zeigt: Katastrophale nukleare Unfälle wie die Kernschmelzen in Tschernobyl und Fukushima sind demnach häufiger zu erwarten als bislang angenommen. Wissenschaftler/innen des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz haben anhand der bisherigen Laufzeiten aller zivilen Kernreaktoren weltweit und der aufgetretenen Kernschmelzen errechnet, dass solche Ereignisse im momentanen Kraftwerksbestand etwa einmal in 10 bis 20 Jahren auftreten können und damit 200 mal häufiger sind als in der Vergangenheit geschätzt. Zudem ermittelten die Forscher/innen, dass die Hälfte des radioaktiven Cäsium-137 bei einem solchen größten anzunehmenden Unfall mehr als 1.000 Kilometer weit transportiert würde.
Diese Ergebnisse zeigen, dass Westeuropa – inklusive Deutschland – wahrscheinlich einmal in etwa 50 Jahren mit mehr als 40 Kilobecquerel radioaktivem Cäsium-137 pro Quadratmeter belastet wird. Ab dieser Menge gilt ein Gebiet laut der Internationalen Atomenergie Behörde IAEA als radioaktiv kontaminiert. Die Forscher/innen fordern aufgrund ihrer Erkenntnisse eine tiefgehende Analyse und Neubetrachtung der Risiken, die von Atomkraftwerken ausgehen.
Obwohl die Gefahr, die von Atomkraftwerken ausgeht, für Mensch und Natur also erheblich und unkalkulierbar ist, haben die großen Energiekonzerne, die seit Jahrzehnten wirtschaftlich von der Atomkraft profitieren (unter anderem wegen hoher „Anschubfinanzierungen“, verdeckter Quersubventionierungen und Übernahme der Kosten für die Atommülllagerung durch die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger) keine Haftpflichtversicherung, um die Milliardenschäden, die ein Atomunfall verursachen wird, abzudecken. Können sie auch nicht haben, denn keine Versicherung ist bereit, dieses Risiko zu übernehmen. „Atomkraftwerke sind nicht versicherbar“, sagt Markus Rosenbaum, Geschäftsführer der Versicherungsforen Leipzig GmbH.
Ein vierköpfiges Wissenschaftlerteam aus Rosenbaums Unternehmen hatte versucht, die Gesamtkosten zu beziffern, die ein Versicherer einkalkulieren müsste, um ein Atomkraftwerk zu versichern. Insgesamt kamen die Versicherungsprofis auf einen zu erwartenden Maximalschaden von rund 6.000 Milliarden Euro, berichtet SPIEGEL Online. Reaktorunfälle verursachen noch Jahrzehnte nach dem eigentlichen Unglück gewaltige Kosten wie Ausgaben für die Versorgung von Menschen, die an Krebs erkranken, Entschädigungen für Angehörige von Unfallopfern, Kosten für die Beseitigung von Naturschäden und Trinkwasserverschmutzungen sowie die Wiederherstellung von Infrastruktur, Schadensersatzzahlungen für Produktionsausfälle und volkswirtschaftliche Schäden, usw. Weil diese Kosten für ein einzelnes Energieunternehmen und eine Versicherung viel hoch sind, wird dieses hohe Kostenrisiko eben einfach den Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern aufgehalst.
Eine Greenpeace-Studie aus dem Jahr 2010 zeigt, dass die Atomenergie die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger bis 2010 bereits 204 Milliarden Euro gekostet hat. Diese Atomkosten setzen sich zusammen aus direkten Finanzhilfen des Bundes wie Forschungsförderung, Kosten für die Atommüllendlager oder die Stilllegung der ostdeutschen Atommeiler. Hinzu kommen Steuervergünstigungen in der Energiebesteuerung und durch die Regelungen bei den Entsorgungsrückstellungen sowie Zusatzeinnahmen der AKW-Betreiber durch den Emissionshandel. Jede Kilowattstunde Atomstrom wird seit Jahren durch staatliche Regelungen mit (aktuell) 4,3 Cent subventioniert, hat Greenpeace errechnet. Nur wurden diese 4,3 Cent niemals „Atomkraft-Umlage“ (analog zur „EEG-Umlage“) genannt.
Die Bundesregierung führt aber in ihren Subventionsberichten lediglich Atomsubventionen von rund 200 Millionen Euro bis zum Jahr 2010 auf. Ursache für die Differenz ist der äußerst eng gefasste Subventionsbegriff der Regierung, in dem nur die Kompensationen für Land- und Forstwirtschaft nach dem Tschernobyl-GAU zeitweise erfasst sind. Alle weiteren in der Studie erfassten Fördertatbestände werden im Bericht der Bundesregierung nicht berücksichtigt. Die Subventionen der Atomkraft lägen sogar noch weitaus höher, wenn die externen Kosten der Atomenergie mit einbezogen würden, wie beispielsweise die bereits erwähnten unvorstellbar hohen Kosten (und Folgen für Mensch und Natur!) eines nuklearen Unfalls.
Beim Einsatz von Atomkraft (ebenso wie Kohle, Erdöl und Erdgas) entstehen also erhebliche Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschäden, die sich nicht in deren Preisen spiegeln. Überhaupt wird interessanterweise bei der Atomkraft – im Gegensatz zu den Erneuerbaren Energien – über die Finanzierungskosten und damit die konkreten Lasten für die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger aus der Atomkraft nicht offen gesprochen. Warum? Vielleicht, weil den Atomkonzernen und ihrer Atomlobby sonst überhaupt kein Argument mehr FÜR die Atomkraft und GEGEN die Erneuerbaren Energien bliebe:
Der derzeit noch notwendigen Förderung Erneuerbarer Energien steht bereits jetzt ein hoher volkswirtschaftlicher Nutzen gegenüber. Erneuerbare Energien vermeiden Klimaschäden und Kosten für Energieimporte: im Jahr 2011 haben sie Brennstoffimporte in Höhe von 11 Milliarden Euro ersetzt und mehr als 9 Milliarden Euro externe Kosten vermieden. Allein die Photovoltaik spart bis 2030 rund 28 Milliarden Euro an Brennstoffkosten und vermeidet Klima- und Umweltschäden im Wert von über 16 Milliarden Euro, hat die Agentur für Erneuerbare Energien errechnet.
Doch Erneuerbare Energien schaffen mehr: Die Umlagefinanzierung kommt auch heimischen Herstellern und dem Handwerk zugute. Das erhöht die Wertschöpfung vor Ort und sichert heimische Arbeitsplätze: Mehr als 100.000 Arbeitsplätze sind bereits in der Photovoltaik Branche entstanden. Im Bereich der Windkraft sind es heute ebenso schon über 100.000, im Bereich der Atomkraft spricht man dagegen von rund 30.000 Beschäftigten.
Eine Studie des Freiburger Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE zu den Stromgestehungskosten von Erneuerbaren Energien zeigt, dass die Stromgestehungskosten bei der Photovoltaik nicht nur in Regionen mit sehr hoher Sonneneinstrahlung, sondern auch in Deutschland unterhalb des Endkundenstrompreises liegen. Insgesamt, so die Studie, sinken die Stromgestehungskosten aller Erneuerbaren Energien weiterhin kontinuierlich.
Die Einspeisung von Erneuerbaren Energien senkt zudem den Strompreis an der Börse. „Die Börsenstrompreise sind anders als vielfach behauptet durch das endgültige Abschalten von acht Atomkraftwerken und dem energiepolitischen Kurswechsel der Regierung nicht gestiegen. Im Gegenteil: Wind- und Solarenergie senken an der Strombörse die Preise“, konstatiert der Präsident des Bundesverbands Erneuerbare Energien, Dietmar Schütz. In der Bilanz bleibe Deutschland außerdem auch im Jahr eins des schwarz-gelben Atomausstiegs Nettoexporteur von Strom Behauptungen, Deutschland sei zur Sicherung der eigenen Stromversorgung auf dauerhafte Lieferungen aus Nachbarländern angewiesen, hätten sich somit ebenfalls als plumpe Propaganda der alten Energiewirtschaft und ihrer Verbündeten entpuppt.
Nach einer aktuellen Repräsentativbefragung durch TNS Emnid im Februar 2012 halten rund 91 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger Solarstrom für wichtig. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hat für 40 Prozent der Befragten die Photovoltaik sogar noch an Bedeutung gewonnen. Fast 70 Prozent der Befragten finden nicht, dass die Politik die Solarenergie zu schnell ausbaut. Rund 60 Prozent der Bundesbürger vertreten zudem die Meinung, die Politik tue zu wenig für den Ausbau der Photovoltaik
Von der Internationalen Energieagentur (IEA) werden diese Zahlen und das Potenzial der Erneuerbaren Energien dagegen kleingerechnet. Gleichzeitig werden die Kosten für deren Ausbau viel zu hoch kalkuliert, indem die Kapitalkosten der Erneuerbaren überbetont und wegfallende Brennstoffkosten ignoriert werden, kritisiert der Bundesverband Erneuerbare Energien e.V. (BEE). In den Szenarien der IEA haben weiterhin fossile und atomare Energiequellen die zentrale Bedeutung. Die hohen Folgekosten dieser Technologien durch Klima- und Umweltschäden werden dabei weitgehend ausgeblendet.
„Wer aus vermeintlichen Klimaschutzgründen der Atomkraft das Wort redet, hat weder aus den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima gelernt, noch die weltweit ungelöste Entsorgungsfrage für Atommüll im Blick. Nur Investitionen in nachhaltige erneuerbare Technologien können unsere Energieversorgung langfristig klima- und umweltschonend und zu bezahlbaren Preisen sicher stellen“, ist sich Rainer Hinrichs-Rahlwes, Vorstandsmitglied des BEE, sicher.
Tipp: Mit der neuen Broschüre „Der volle Durchblick in Sachen Erneuerbare Energien“ arbeitet die Agentur für Erneuerbare Energien die hartnäckigsten Missverständnisse auf. In der Broschüre finden Interessierte klare Antworten auf häufig gestellte Fragen zu den Potenzialen Erneuerbarer Energien. Profis finden Unterstützung und Anregungen für die tägliche Energie-Diskussion. Ein übersichtlicher Anhang mit Daten und Fakten bringt Licht in das Zahlendickicht: www.unendlich-viel-energie.de/uploads/media/AEE_Durchblick_Erneuerbare_Energien_Dez11_final.pdf
Quellen: Greenpeace, Bundesverband Erneuerbare Energien e.V., Bundesverband Solarwirtschaft e.V., Agentur für Erneuerbare Energien, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, verivox, SPIEGEL Online, u.a.
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