„Gefahr, dass es am Ende dann doch wieder auf Gorleben hinauslaufen könnte“
Der am vergangenen Mittwoch im Bundeskabinett verabschiedete Entwurf eines Gesetzes zum Neustart der Endlagersuche für hochradioaktiven Atommüll enthält gravierende Lücken. Nach wie vor fehlt darin eine Regelung, die die Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle im Ausland ausschließt. Auch in finanzieller Hinsicht legt der Gesetzentwurf erneut einen „Startvorteil“ für den Salzstock Gorleben nahe. Insgesamt begründet der Entwurf für ein Standortauswahlgesetz (StandAG) ernsthafte Zweifel, ob auf seiner Grundlage tatsächlich die von der Politik versprochene transparente und ergebnisoffene Endlagersuche möglich wird, so die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH).
Darüber hinaus droht auch noch die als „vertrauensbildende Maßnahme“ angekündigte Umlenkung der verbliebenen Castortransporte aus dem Ausland vom Zwischenlager Gorleben auf andere Standorte außerhalb Niedersachsens an der geltenden Rechtslage und dem für eine Änderung notwendigen Zeitbedarf zu scheitern. Das sind die zentralen Ergebnisse einer ersten juristischen Bewertung des Gesetzentwurfs durch die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH).
Im Ergebnis der Analyse stehe auch die politische Einigung zwischen Bund, Ländern und den Fraktionen von Union, SPD, FDP und Grünen im Bundestag auf der Kippe, erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Michael Spielmann: „Wer den von beiden großen politischen Lagern beschworenen historischen Durchbruch bei der Endlagersuche in Deutschland wirklich will, darf sich angesichts der Vorgeschichte nicht dem Verdacht aussetzen, mit verdeckten Karten zu spielen“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Michael Spielmann.
Dabei komme es gar nicht darauf an, ob die Bundesregierung bewusst ein mangelhaftes Gesetz in den Bundestag einbringen wolle oder ob die Regelungslücken lediglich der „offensichtlichen Hektik des Gesetzgebungsverfahrens“ geschuldet sei. Gerade bei der Frage der Entlastung Niedersachsens von weiteren Castortransporten nach Gorleben habe die Politik bislang erkennbar zu viel versprochen. „Jetzt besteht die reale Gefahr, dass es am Ende dann doch wieder auf Gorleben hinauslaufen könnte“, erklärte Spielmann.
Für die Umlenkung der verbleibenden Castorrücktransporte aus Frankreich und England in andere so genannte standortnahe Zwischenlager kommt es nicht auf die Aufnahmebereitschaft anderer Bundesländer an. Denn Anlagenbetreiber sind die Energieversorgungsunternehmen. Diese müssten verpflichtet werden, auf ihre grundsätzliche Einlagerungsgenehmigung im Zwischenlager Gorleben zu verzichten und entsprechende Änderungsanträge für die dann vereinbarten Ziellager zu stellen. Voraussichtlich würde das zudem nicht ohne technische Umrüstungen abgehen.
„Gleichwohl enthält sich der Gesetzentwurf jeglicher Regelung zu dieser Problematik. Selbst wenn die Betreiber alternativer Zwischenlager unmittelbar gezwungen würden, die erforderlichen Änderungsanträge zu stellen und diese genehmigungsfähig wären, wäre damit keineswegs automatisch ein Transportstopp nach Gorleben sichergestellt. Denn Genehmigungsverfahren und technische Umrüstung würden Jahre in Anspruch nehmen. Mit Frankreich und Großbritannien vereinbarte Rückführungszeiträume wären voraussichtlich nicht einzuhalten und müssten jetzt neu verhandelt werden“, erläuterte Rechtsanwältin Cornelia Ziehm, die Leiterin Klimaschutz und Energiewende der DUH und Autorin der DUH-Analyse des Gesetzentwurfs.
Für das Zwischenlager Brunsbüttel, das als favorisierter Standort für Atommüll aus Sellafield diskutiert wird, gebe es zudem ein laufendes, von der Firma Vattenfall beantragtes Änderungsverfahren aus Gründen des Terrorschutzes. Sollte dieser Umbau genehmigt werden, stünden nur noch maximal 14 Standplätze für Castor-Behälter zur Verfügung, bei allein 21 Rücktransporten aus Großbritannien.
Ziehm fürchtet auch, dass die erneute Weigerung von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), den Atommüllexport im Gesetz unmissverständlich festzuschreiben, Rückwirkungen haben werde auf die Bereitschaft maßgeblicher Akteurinnen und Akteure, in Deutschland tatsächlich in ein zielgerichtetes Such- und Auswahlverfahren einzutreten.
Außerdem ist die Finanzierung der künftigen Endlagersuche im vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf nicht abschließend geregelt. Dies soll nun bis zur endgültigen Verabschiedung geschehen. Zwar sei sich die Politik derzeit einig, dass die Stromversorger für die voraussichtlichen Milliardenkosten aufkommen sollen. Doch ob sich dies angesichts des massiven Widerstands der Atomkraftwerksbetreiber realisieren lasse, stehe in den Sternen.
Ziehm: „Es ist schwer nachvollziehbar, warum nun binnen Wochen gelingen soll, was während der seit eineinhalb Jahre andauernden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern offenbar nicht erreicht wurde.“ Fragen werfen aber auch die für den Salzstock Gorleben veranschlagten so genannten „Offenhaltungskosten“ auf, die sich im Gesetzentwurf binnen weniger Tage von 20 auf 30 Millionen Euro jährlich erhöht hatten. Bis 2010, während des zehn Jahre zuvor ausgehandelten Gorleben-Moratoriums, waren sogar deutlich weniger als 20 Millionen Euro pro Jahr für die Absicherung des Salzstocks angefallen. Die sprunghafte Erhöhung werde im Gesetzentwurf nicht begründet und werfe die Frage auf, was in den kommenden 15 Jahren in Gorleben wirklich geplant ist, erklärte Ziehm.
Als verstörend bezeichnete sie eine weitere überraschende Änderung im Gesetzentwurf, wonach künftig Enteignungen im Zusammenhang mit der Endlagersuche nicht länger nur dann möglich sein sollen, wenn dies zur Durchführung von Erkundungsmaßnahmen notwendig sei, sondern auch zum Zwecke der „Offenhaltung“. Damit wären nach dem Wortlaut des Gesetzes unmittelbar Enteignungen im Rahmen des Offenhaltungsbetriebs von Gorleben zulässig.
Spielmann erinnerte daran, dass die DUH den grundsätzlichen Anspruch der beiden großen politischen Lager stets begrüßt habe, vor der Bundestagswahl im Herbst zu einer Einigung über eine neue Endlagersuche zu kommen. Unabdingbare Voraussetzung sei aber ein seriöses Vorgehen und die Vermeidung auch nur des Anscheins, dem Salzstock Gorleben solle erneut ein Startvorteil verschaffte werden. Spielmann: „Der nun vorgelegte Gesetzentwurf ist lückenhaft und wurde erkennbar mit heißer Nadel gestrickt. Er genügt dieser Voraussetzung nicht und bedroht die Glaubwürdigkeit des Einigungsprozesses.“
DUH Stellungnahme zum Standortauswahlgesetz (StandAG) (pdf)
Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH)
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