Solartaxi eilt zur Weltklimakonferenz nach Bali
Indien, das Land voller Chaos. Indien, das Land voller Wunder. „Always expect the unexpected! – Erwarte immer das Unerwartete!“ Kein anderer Spruch scheint auf Indien besser zuzutreffen, meint Louis Palmer, der schweizer Solartaxi-Pionier. Zuerst landet das Solartaxi nach der Verschiffung per Container von Dubai nach Indien im falschen Hafen. Dann erhält das kleine blaue Mobil eine Einladung zur Weltklimakonferenz in Bali für Anfang Dezember! Und dazwischen liegen 2.500 Kilometer indische Herausforderungen.
13 Millionen Menschen wohnen laut Schätzungen in Bombay. „Bombays Straßenchaos ist spannender als jede Achterbahnfahrt. Blinklichter existieren hier nicht, ein Blick nach links, wenn man links abbiegt, wird als unnötig erachtet. Das System scheint trotzdem zu funktionieren. Von Gotteshand. Ein Wunder, dass ich das Ziel heil erreiche“ – so lauten die ersten Eindrücke von Louis Palmer in seiner neuen Umgebung. Und: Für europäische Nasen scheint Bombay ebenfalls eine echte Herausforderung zu sein.
Mit sechstägiger Verspätung ist das Solartaxi im geplanten Hafen Mumbai angekommen, und Palmers Zollagent „Jonny“ hat einen richtigen Spurt durch alle Zollbüros hingelegt. Es sei das erste Mal in seiner 24-jährigen Karriere, dass er einen Container 24 Stunden nach der Ankunft durch den Zoll gebracht hat, erzählt „Jonny“. Durch Mumbai wird das Solartaxi von einer Motorrad-Gang geleitet und Louis Palmer macht erste Bekanntschaft mit Indiens Bettlerwesen.
Von Mumbai geht es über Neu-Delhi nach Kolkata, das ehemalige Kalkutta. „Außerhalb von Mumbai wird die lärmende Stadt durch einen sattgrünen Dschungel abgelöst, und weit und breit ist kein Dorf mehr zu sehen“, notiert Palmer. Die neue vierspurige Autobahn, die Mumbai, Neu-Delhi, Kolkata und Chennai, das frühere Madras, verbinden soll, ist hier erst im Bau, und so lauern noch immer überall Schlaglöcher „fies und unberechenbar“ auf ihre Opfer, so Palmer weiter.
„Während ich und Bape uns mit den Schlaglöchern im Schritttempo abquälen, werden die anderen auf eine Farm eingeladen, wo mit Sonnenenergie wöchentlich 25.000 Hühnereier ausgebrütet werden. Die Besitzer sind begeistert davon, welchen Profit die Sonnenenergie abwirft: Da die Inkubatoren 60 Prozent weniger Strom aus der Steckdose ziehen, hat sich die Investition innerhalb eines Jahres schon wieder amortisiert! Die Sonne scheint hier fast jeden Tag – kein Wunder, dass hier gute Solar-Ideen ausgebrütet werden“, freut sich die Solartaxi-Crew über eine Hühnchenzucht mit Solarenergie
Irgendwann kommt eine Mautstelle. Dass wir für diese katastrophale Straße auch noch 30 Rupien bezahlen sollen, lässt Bape, einer der Begleiter durch Indien, sich nicht gefallen. „Wir fahren mit Sonnenenergie!“, ruft er den pensionierten Soldaten zu, die hier ihren Dienst versehen. „Wir verschmutzen eure Straße nicht mit Benzin.“ Nach einigem Wundern seitens der Kontrolleure darf das Solartaxi kostenlos weiterfahren.
In Rajasthan versammelt sich gleich wieder eine riesige Menschenschar um das Solartaxi. Zwei Sadhus – Heilige im Hinduismus – bahnen sich ihren Weg durchs Getümmel. „Lange Bärte zieren die zwei Wanderer: Der eine trägt eine Kette mit Totenschädeln, der andere einen orange Umhang und eine Art Leopardenstoff. Ehe ich kapiere, was los ist, zückt einer der Sadhus ein Schwert, ein Raunen geht durch die Menschenmenge, und der Sadhu stößt sich das Schwert die Kehle runter. Die beiden Heiligen spenden uns damit eine Art Segen. Wir drücken den beiden 50 Rupien, umgerechnet einen Euro, in die Hand und sind total fasziniert von unserer ersten Begegnung mit den heiligen Männern des Hinduismus“, notiert Palmer.
Doch Indiens Verkehrschaos überfordert auch das Solartaxi: Erst wird es in Jaipur von einem Hyundai gerammt, dann muss Palmer durch einen belebten Markt fahren, „ein Alptraum“, wie er notiert: „Ein paar Affen auf einem Hausdach kichern nicht zu unrecht, als ich die Kurve nicht ganz erwische und ein paar Kartoffeln eines Händlers überfahre. Mit zehn Rupies ist der Schaden schnell beglichen, doch dann versperren mir zwei heilige Kühe den Weg.“ Zwar hatte sich Palmer schon vorsorglich in der Schweiz eine Hupe mit schrillem Pfeifton eingebaut, die speziell die heiligen Kühe vertreiben soll. Doch hier merkt er – Fehlkonstruktion! Mit seiner Hupe lässt sich keine Kuh erschrecken. „Dafür klammern sich die Bettler und Kinder umso mehr an mein Fenster, und Indien hat uns fest im Würgegriff.“
In Delhi feiert das Solartaxi 11.777 Kilometer und genau vier Monate Solartaxi-Weltreise. Ein Viertel der Weltumrundung ist geschafft. Palmer: „Wie ich mich fühle? Oft müde. Wenig Schlaf. Neige zu Vergesslichkeit. Und bin seit dem Unfall auch wieder angespannt. Doch die Erlebnisse treiben an. Und das Auto rollt und rollt. Das gibt Zuversicht.“ Und dann erhält die Solartaxi-Crew auch noch eine Einladung zur Weltklimakonferenz in Bali für Anfang Dezember! Wenn sich 10.000 Experten, Journalisten und Politiker aus aller Welt treffen, soll das Solartaxi als Shuttle-Service zwischen den verschiedenen Tagungsorten eingesetzt werden.
Varanasi heißt die Endstation in Indien. Die Crew ist erstmals ernsthaft krank: Magen-Darm-Geschichten. Zu allem Elend kommt am Abend die nächste Hiobsbotschaft: In Kalkutta, wo die Crew so schnell wie möglich hin will, um das Solartaxi nach Bali zu verschiffen, ist ein Generalstreik ausgerufen worden. Niemand ist erreichbar, keine Firma nimmt das Telefon ab. Und von der Alternativ-Reiseroute durch Nepal wird uns ebenfalls abgeraten. Die Maoisten hätten das Tiefland unter Kontrolle, ein Solarmobil gehöre definitiv nicht in ihre Hände. „Und vor uns liegt auch Bihar, die Unruheprovinz mit dem miserablen Ruf. Auch dafür haben wir noch keine Lösung gefunden, wie wir da durch wollen. Im Moment stecken wir in der Sackgasse“, ist Palmer etwas weniger zuversichtlich als sonst.
Durch Bihar gehts deshalb per Lkw und nach über 2.500 Kilometern in Indien erreicht das Solartaxi Kalkutta. Der vierte Abschnitt der Reise ist geschafft, exakt 13.000 Kilometer. Dort erwartet das Solartaxi zunächst ein freundlicher Empfang von der Moonlight Engineering Company: 75 Arbeiter, durchwegs Schulabbrecher, sind damit beschäftigt, alte Benzinzapfsäulen zu modernisieren. Damit in den ländlichen Gegenden der Diesel den Weg in Generatoren und Traktoren findet, haben sie ein neues Konzept entwickelt: ein 200-Liter-Dieseltank auf einer Rikscha und oben drauf eine 300-Watt-Solaranlage, die den Strom für die Pumpe liefert. Ihre Idee: mit Solarenergie Diesel verteilen.
Kaum in Kalkutta, erhält die Crew grünes Licht aus Indonesien. Palmer: „Nach zuerst fast aussichtslosen, zähen Verhandlungen werden wir nun doch das Solartaxi zur Uno-Weltklimakonferenz einführen dürfen. Da dieser Halt nicht geplant war und die Zeit eilt, schieben wir das Solartaxi morgen auf eine Palette und schicken es per Flugzeug nach Bali. Dort soll es als Beispiel den Politikern und Wissenschaftern die Hauptbotschaft der Konferenz vermitteln: Die globale Erwärmung lässt sich nicht mehr abstreiten, aber Lösungen sind vorhanden!“
Quelle: Solartaxi, SPIEGELonline
|