Artikel vom 14.03.2013, Druckdatum 15.11.2024

DIW Berlin: Preisverfall im Emissionshandel bedroht Europas Klimapolitik

Der Preisverfall im europäischen Emissionshandel bedroht den Erfolg und die Glaubwürdigkeit der EU-Klimapolitik, warnen Forscherinnen und Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Die gewünschte Lenkungswirkung, nämlich den Unternehmen wirksame Anreize und klare Rahmenbedingungen für klimafreundliche Investitionen zu bieten, kann der Emissionshandel so nicht erfüllen“, urteilen Karsten Neuhoff und Anne Schopp im aktuellen DIW-Wochenbericht.

Die Preise der Zertifikate für Treibhausgasemissionen sind wegen eines hohen Überschusses stark gefallen und drohen weiter zu sinken. Allein seit Ende 2011 ist der Preis von 15 Euro auf unter fünf Euro gefallen – erwartet worden war ein Anstieg auf 30 Euro bis zum Jahr 2020.

Rasche Entscheidungen der deutschen Politik sind nach Aussage des DIW notwendig, damit das Angebot auf europäischer Ebene schnell und nachhaltig verknappt werden kann. Die Analyse zeige, dass sowohl die von der EU-Kommission vorgeschlagene Verschiebung der Versteigerung von Zertifikaten – das sogenannte Backloading - als auch eine langfristige Strukturreform des Emissionshandels unumgänglich sind.

„Das europäische Emissionshandelssystem ist eine tragende Säule der EU-Klimapolitik und sollte unbedingt gestärkt werden“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Karsten Neuhoff. Weil Industrieunternehmen und Stromerzeuger für den Ausstoß von Treibhausgasen Zertifikate kaufen müssen und ungenutzte Zertifikate verkaufen können, erhalten Klimaschäden einen Preis. So können Unternehmen längerfristige Reduktionsziele bei strategischen Entscheidungen berücksichtigen. Ohne den europäischen Emissionshandel hätten Unternehmen der Klimapolitik niemals so viel Aufmerksamkeit gewidmet, wie sie das heute tun. Durch den starken Preisverfall drohe die Steuerungswirkung nun jedoch zu verpuffen.

Ein Grund für den Preisverfall ist ein seit 2008 anwachsender Überschuss an Zertifikaten, der bis 2015 auf etwa 2,6 Milliarden Tonnen steigen wird. Das ist insbesondere auf die unerwartet hohe Anzahl internationaler Emissionsgutschriften in Höhe von 1,7 Milliarden Tonnen zurückzuführen. Gutschriften aus internationalen Klimaschutzprojekten, insbesondere in Entwicklungs- oder Schwellenländern, können für die Verpflichtungen im Emissionshandelssystem angerechnet werden. Ein weiterer Grund für den hohen Bestand an Überschüssen ist die Wirtschaftskrise, die zu geringerer Industrieproduktion und damit zu geringeren Emissionen führte.

„In der Vergangenheit ging man davon aus, dass die Unternehmen überschüssige Zertifikate für eine zukünftige Nutzung auf Vorrat halten können“, erklärt DIW-Expertin Anne Schopp. Bei einer Befragung von Unternehmen aus Strom , Industrie- und Finanzsektor fanden die DIW-Forscher jedoch heraus, dass dies nur für einen Teil der Unternehmen stimmt. Europäische Stromerzeuger fangen einen Überschuss von rund 1,4 Milliarden Zertifikaten auf und sichern damit längerfristige Stromverkäufe ab. 

Im Industriebereich hingegen ist die Nachfrage auch wegen der bisher noch überwiegend kostenlosen Zertifikatszuteilung gering. Damit verbleibt nur noch die Nachfrage von spekulativen Investoren: Diese kaufen Zertifikate jedoch nur zu sehr geringen Preisen, die hohe Renditen versprechen.

Um den Zertifikatsüberschuss abzubauen, schlägt die EU-Kommission vor, die Versteigerung von 0,9 Milliarden Zertifikaten auf das Ende der Handelsperiode (2019/2020) zu verschieben. Mit diesem Backloading könnte kurzfristig wieder Knappheit erzeugt werden und ein weiterer Preis- und Glaubwürdigkeitsverfall des Emissionshandels vermieden werden. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments sowie mehrere europäische Länder stimmen diesem Vorschlage zu – bisher fehlt allerdings die dringend erforderliche Unterstützung von Deutschland.

Backloading alleine hat allerdings langfristig keine Wirkung, da die Zertifikate wieder in den Markt zurückgegeben werden. „Deswegen ist eine strukturelle Reform des Emissionshandels notwendig, sonst droht ein weiterer Verfall der Zertifikat-Preise, und damit auch der Glaubwürdigkeit des Emissionshandels“ argumentiert DIW-Experte Jochen Diekmann. Das würde viele klimafreundliche Investitionen in Europa verhindern und die internationale Vorbildfunktion Europas in der Klimapolitik in Frage stellen.

Das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um rund 20 Prozent zu verringern, sei erreichbar. Aber um auch das langfristige Ziel zu schaffen, die Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts um 80 bis 95 Prozent zu senken, müssen bereits heute klimafreundliche und energieeffiziente Technologien gewählt werden. Dafür brauchen die Unternehmen klare Rahmenbedingungen.

Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
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