Artikel vom 05.06.2012, Druckdatum 15.11.2024

Gauck: „Langfristig ist ökonomisch nur sinnvoll, was ökologisch vernünftig ist“

Bei der Eröffnung der diesjährigen „Woche der Umwelt“ soll Bundespräsident Joachim Gauck sich laut SPIEGEL Online gegen eine „Energiewende per Planwirtschaft“ ausgesprochen haben. Das Magazin glaubt, dass Gauck mit seinem Plädoyer für eine „marktwirtschaftliche, wachstumsfreundliche Umweltpolitik“ der FDP und ihrer Anti-Photovoltaik-Haltung das Wort spreche. Ob der FDP (und dem SPIEGEL) allerdings der zweite Teil von Gaucks Forderung, nämlich dass Kosten für Umweltbelastungen und Umweltrisiken den Verursachern in Rechnung gestellt werden müssen, auch schmeckt?

Der Bundespräsident vertraue ganz der Marktwirtschaft, schreibt SPIEGEL Online: „Darüber wird sich die FDP freuen.“ Denn Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hatte am Dienstag wieder einmal – diesmal wegen „eines drohenden Strompreisanstiegs“ – eine „offene Debatte über die Förderung Erneuerbarer Energien gefordert“, so SPIEGEL Online. „Da müssen wir uns tief in die Augen gucken: Wollen wir das bezahlen, oder wollen wir das eine oder andere im System ändern“, soll Rösler am Dienstag bei einer Veranstaltung zu „Ein Jahr Energiewende“ in seinem Ministerium gesagt haben. 

Doch ist aus Gaucks Rede wirklich eine Zustimmung für die Haltung von Philipp Rösler und seiner FDP sowie Teilen der Wirtschaft herauszulesen? „Ich bin überzeugt: Es gibt keinen besseren Nährboden für unsere Ideen und Problemlösungen als unsere offene Gesellschaft mit offenen Märkten und freiem und fairem Wettbewerb. Dringlich ist es, einen verlässlichen politischen Rahmen zu setzen und zwar so, dass Schädliches vermieden und Gewünschtes erreicht wird. Marktwirtschaftliche, wachstumsfreundliche Umweltpolitik heißt für mich, dass Kosten für Umweltbelastungen und Umweltrisiken den Verursachern in Rechnung gestellt werden, und nicht den Steuerzahlern. Und dass umweltfreundliche Produktion sich für Unternehmen im Wettbewerb auszahlt.“ Mit diesen Worten eröffnete Deutschlands Staatsoberhaupt Joachim Gauck im Park des Schlosses Bellevue in Berlin die „Woche der Umwelt“ des Bundespräsidenten und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). 

Bundespräsident Gauck plädiert also dafür, „einen verlässlichen politischen Rahmen zu setzen und zwar so, dass Schädliches vermieden und Gewünschtes erreicht wird“, was ja ziemlich vernünftig klingt. Gerade die Erneuerbaren Energien mussten in den vergangenen Jahren erleben, dass der politische Rahmen, der eigentlich mittels des „Erneuerbares-Energien-Gesetz“ die Energiewende voranbringen sollte, alles andere als verlässlich war. Insofern gibt es seitens der Erneuerbaren-Energien-Branche sicherlich keinen Einwand gegen einen „verlässlichen politischen Rahmen“. 

Erst recht nicht gegen einen, in dem erstmals auch die Kosten für Umweltbelastungen und Umweltrisiken einzelner Produkte, Verfahren und Handelswege in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen mit einfließen. Wenn sie dann noch den Verursachern in Rechnung gestellt werden – statt wie bisher einfach völlig unterschlagen und/oder den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern – dann kann aus Sicht der „grünen Branchen“ nichts gegen Gaucks Gedankengang gesagt werden. Die EEG Vergütungssätze enthalten alle Kosten der Erneuerbaren Energien. Versteckte Kosten? Fehlanzeige. Deshalb haben die Erneuerbaren Energien ehrliche Preise, die langfristig nur eine Richtung kennen: Nach unten. 

Gauck fragte zum Start der vierten Veranstaltung des Bundespräsidenten und der DBU dieser Art, zu der rund 200 Aussteller gekommen waren und heute und morgen rund 12.000 Besucherinnen und Besucher erwartet werden, wie wir in Zukunft gut leben und wirtschaften könnten, ohne dafür große Mengen an fossilen Bodenschätzen zu verbrauchen? Wie könne vermieden werden, Böden, Atmosphäre und Meere zu vergiften und unsere Ökosysteme intakt zu halten? 

Auch dazu haben die Erneuerbaren Energien Antworten: Erneuerbare Energien haben im Jahr 2011 Brennstoffimporte in Höhe von 11 Milliarden Euro ersetzt und mehr als 9 Milliarden Euro externe Kosten vermieden. Für das Jahr 2020 rechnet die Branche mit vermiedenen Brennstoffimporten in Höhe von rund 50 Milliarden Euro. Allein die Photovoltaik spart bis 2030 rund 28 Milliarden Euro an Brennstoffkosten und vermeidet Klima- und Umweltschäden im Wert von über 16 Milliarden Euro. Dieses Geld wird nicht für Importöl aus dem Golf von Mexiko oder für Gas aus Russland ausgegeben, sondern steht für Wertschöpfung der heimischen Industrie und des lokalen Handwerks zur Verfügung.

Die Erneuerbaren haben im Jahr 2009 versteckte Kosten in Höhe von 8 Milliarden Euro vermieden – das sind Kosten für Klima-, Umwelt-, Gesundheits- und Materialschäden, die durch die Verwendung fossiler und atomarer Brennstoffe ansonsten entstanden wären, im Preis dieser Technologien aber nicht enthalten sind. Die Erneuerbare-Energien-Branche prognostiziert für das Jahr 2020 vermiedene Umweltschäden durch EE in Höhe von 12,3 Milliarden Euro pro Jahr.

Wie könne es gelingen, für heute sieben, später acht oder gar neun Milliarden Menschen die Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben zu schaffen?, fragt Gauck weiter. Erneuerbare Energien sichern nicht nur langfristig die Versorgungssicherheit und damit die Basis für dauerhafte wirtschaftliche Tätigkeit in einem Industrieland. Sie tragen international auch zur Friedenssicherung bei. Wer auf Erneuerbare Energien setzt, lässt Kriege um den Zugang zu knappen Ressourcen unwahrscheinlicher werden.

Die Wüsten der Erde empfangen in 6 Stunden mehr Energie von der Sonne als die Menschheit in einem Jahr verbraucht. Da 90 Prozent der Menschen innerhalb einer Entfernung von 3.000 Kilometern zu Wüsten leben, können Erneuerbare-Energien-Projekte wie DESERTEC nicht nur in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika (EU-MENA) realisiert werden, sondern auch in Subsahara-Afrika, im Süden Afrikas, Amerika, Australien, Indien und ganz Ostasien, wo Verbrauchszentren in der Reichweite geeigneter Wüsten liegen. Das DESERTEC-Konzept zeigt einen Weg um Klimaschutz, Energiesicherheit und Entwicklung zu gewährleisten, indem die energiereichsten Standorte der Welt genutzt werden, um nachhaltigen Strom aus erneuerbaren Energien zu produzieren. 

Ende Juni werde beim Weltgipfel in Rio um eben diese Fragen gerungen. Gauck: „Hoffentlich erfolgreich! Denn Handeln ist mittlerweile wohl doch sehr dringlich – lokal, national, vor allem aber auch global. Weltgipfel verändern die Welt zwar nicht von heute auf morgen. Aber dort werden Versprechen abgegeben, gemeinsame Versprechen. Versprechen, die dann die Messlatte für politisches Handeln abgeben. Das ist wichtiger denn je.“ 

20 Jahre sei es her, dass sich die Weltgemeinschaft in Rio auf das Prinzip der Nachhaltigkeit verständigt habe. Seither sei aber der globale Ausstoß an Kohlenstoffdioxid um rund die Hälfte angestiegen. Er liege so hoch wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Viele Wald- und Ackerböden seien erodiert, viele Tier- und Pflanzenarten bedroht. Führende Klimaforscher warnten, dass eine folgenschwere Erderwärmung kaum mehr zu bremsen sei. Gauck: „Das alles ist alarmierend.“ 

Doch der Einsatz vieler Menschen habe auch einiges bewegt. In den vergangenen 20 Jahren gebe es Entwicklungen zum Positiven. Gauck: „Wir können heute mit deutlich weniger Material und Rohstoffen deutlich bessere Produkte herstellen. Zugleich stammt immer mehr Strom aus erneuerbaren Quellen. Und auch die Ozonschicht scheint sich – jedenfalls langsam – zu erholen, seit die Weltgemeinschaft sich darauf verständigt hat, die schädigenden Substanzen zu verbieten.“ 

Einen weiteren kleinen, aber nicht unbedeutenden Schritt nach vorne habe die internationale Staatengemeinschaft Ende letzten Jahres in Durban getan, nämlich sich endlich auf den Weg zu machen zu einem globalen Klimaabkommen ab dem Jahr 2020. Der Bundespräsident betonte: „Alle führenden Industrienationen in Europa und weltweit, alle müssen bereit sein, diesen Weg mitzugehen! Deutschland ebenso wie die USA, Japan, Kanada, China und Indien. Wer hier bremst, um sich einen kurzfristigen Vorteil zu verschaffen, schadet langfristig sich selbst und ganz gewiss allen anderen. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Erkenntnis durchsetzt: Nachhaltigkeit bedeutet nicht Beschränkung oder Verzicht, sondern Verantwortung und Vernunft. Die Menschheit, das menschliche Leben, jedes Leben kann sich auf dieser Erde nur im Einklang mit der Natur entfalten, nicht gegen sie. Sonst zerstört es sich selbst. Langfristig ist deshalb auch ökonomisch nur sinnvoll, was ökologisch vernünftig ist.“ 

Beim Gang durch den Park von Schloss Bellevue könne jeder erleben, wie viel Sinnvolles wir schon jetzt tun könnten, so Gauck weiter. All diese Innovationen und Investitionen schafften auch neue Arbeitsplätze, machten unsere Umwelt und unsere Gesellschaft zukunftsfähiger und auch unabhängiger von fossilen Rohstoffen. Gauck: „Denn nichts ist günstiger als der Rohstoff, den man einspart – nichts billiger als die Energie, die man nicht braucht. Recycling, Wasseraufbereitung, Antriebstechnologien, auch in all dem sind deutsche Unternehmen weltweit führend. Unser Land wird wie kaum ein anderes auch wirtschaftlich davon profitieren, wenn es sich selbst an die Spitze des nachhaltigen Fortschritts bringt.“ 

Wie gesagt: Hier haben die Erneuerbaren Energien und die „grünen Branchen“ allgemein viel zu bieten.

Quelle: Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Der Bundespräsident
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