Artikel vom 24.03.2012, Druckdatum 15.11.2024

„Stromnetzwerke der Zukunft erfordern ein Denken in ganz neuen Dimensionen“

Um Europa mit möglichst viel Strom aus regenerativen Quellen zu versorgen, würden angesichts des schwankenden Angebots von Sonne und Wind große zusätzliche Energiespeicher wie Pumpspeicherkraftwerke notwendig. „Doch wenn wir das im europäischen Rahmen durchdenken und für die jeweilige Form der regenerativen Energie jeweils die ertragreichsten Standorte wählen, so können sich regionale Erzeuger und industrielle Großtechnik sinnvoll ergänzen“, meint Prof. Dr. Josef Lutz, Inhaber der Professur Leistungselektronik und elektromagnetische Verträglichkeit an der Technischen Universität Chemnitz.

„Um dies zu erreichen, ist ein großräumiger, elektronisch gesteuerter Energieausgleich geeignet, welcher Solar- und Windkraft-Anlagen von Südeuropa bis nach Nordeuropa und viele regionale Erzeuger einschließt. Auf diese Weise lassen sich teure Speicher sowie konventionelle Reservekraftwerke weitgehend vermeiden und vorhandene Speicher können überregional besser genutzt werden“, ergänzt Prof. Dr. Rainer Marquardt, Professor für Leistungselektronik und Steuerungen an der Universität der Bundeswehr München.

„Die Technik der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung - kurz HGÜ - ist dafür sehr gut geeignet“, versichert Lutz. Die Energieübertragung sei damit auch über sehr große Strecken verlustarm möglich. Und der Chemnitzer Professor macht dies an einem Beispiel In China fest: ging zum Beispiel vor kurzem eine 800 Kilovolt-HGÜ-Leitung vom Xiangjiaba-Stausee aus über eine Entfernung von mehr als 2.000 Kilometern in Betrieb. „Eine Hochspannungs-Gleichstrom-Leitung kann gegenüber einer 380-Kilovolt-Freileitung bei gleichem Leitungsquerschnitt - also gleichem Einsatz von Metall - deutlich größere Energiemengen übertragen“, erläutert Lutz. Bei einer Freileitung betrage der Landschaftsverbrauch im Vergleich nur etwa ein Drittel.

Marquardt ergänzt: „Weitgehend unbeachtet von der Politik wurde diese Technik inzwischen wesentlich weiterentwickelt. Die zur Umwandlung des Gleichstroms in Drehstrom notwendigen Converter haben einen Entwicklungsstand erreicht, der höchste Zuverlässigkeit und Energieeffizienz auch an großen verzweigten HGÜ Netzen ermöglicht. Des Weiteren sind - ohne prinzipielle Begrenzung der Entfernung - Erdkabel, Seekabel und Freileitungen in Kombination einsetzbar, so dass Siedlungs- und Landschaftsschutz-Gebiete geschont werden können.“ Auch Lutz ist ein starker Befürworter dieser Technik: „Sie ist eine Alternative zum gegenwärtig diskutierten Ausbau von Stromautobahnen auf Basis des konventionellen 380-kV-Netzes. Mit der sehr viel leistungsfähigeren HGÜ würde in Deutschland wohl eine Nord-Süd-Leitung reichen. Im Norden könnten wir die über HGÜ ankommende Wasser- und Windkraft aus Norwegen andocken, im Süden Solarenergie aus dem Mittelmeerraum“, sagt der Chemnitzer Professor und geht auf der Landkarte noch einen Schritt weiter: „Auch die nordafrikanischen Länder können sich als Lieferanten von Solarstrom anbieten. Und eine HGÜ Leitung von Tunesien nach Italien wird seit Januar 2012 bereits projektiert.“ 

Eine Lösung in internationalem Maßstab sei aus seiner Sicht sehr sinnvoll: „Stromnetzwerke der Zukunft erfordern ein Denken in ganz neuen Dimensionen. Wir brauchen ein SuperGrid für Erneuerbare Energien“, fordert auch Marquardt. Und dass die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet immer globaler wird, unterstreicht auch die Teilkonferenz „Power Electrical Systems“ der internationalen Konferenz „Systems, Signals and Devices“, die vom 20. bis 23. März 2012 an der TU Chemnitz stattfindet.

„Die künftige Versorgung der Gesellschaft mit Erneuerbarer Energie nimmt in vielen Vorträgen von Forschern und führenden Experten aus der Industrie eine zentrale Rolle ein“, sagt Lutz, der gemeinsam mit Prof. Dr. Ilhem Slama-Belkhodja aus Tunesien die Teilkonferenz leiten wird. Marquardt ist der Erfinder des „Modular Multilevel Converters“. „Dieser erlaubt die Erzeugung einer sauberen sinusförmigen Spannung auch für viele hunderttausend Volt und eine wesentlich günstigere industrielle Realisierung der Converter“, versichert der Münchner Professor. Eine damit verwirklichte HGÜ könne viele Funktionen der Netzstabilisierung und des Ausgleichs von Störungen in konventionellen Drehstromnetzen übernehmen. „Auch Fehler an der Gleichstromseite können in wenigen Millisekunden elektronisch geklärt werden, so dass die Netzteilnehmer sie praktisch nicht bemerken“, fügt Marquardt hinzu.

Quelle: Technische Universität Chemnitz
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