Artikel vom 11.01.2012, Druckdatum 15.11.2024

Emissionshandel reicht für Energiewende nicht aus

Der europäische Handel mit Emissionszertifikaten allein wird in Deutschland nicht zu Investitionen in Erneuerbare Energien führen. Nur mit ergänzenden Förderprogrammen werden die Energieunternehmen ihren Anlagenpark umstellen. Für eine Verdrängung der Kohleverstromung aber bleiben dann zu viele Zertifikate auf dem Markt. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie der Technischen Universität München (TUM), die verschiedene Szenarien der Strom und Wärmeproduktion bis zum Jahr 2020 modelliert hat. So gut wie gar keinen Einfluss hätte der Emissionshandel ohne den Ausstieg aus der Kernkraft.

Wenn Unternehmen für jede in die Luft geblasene Tonne CO2 ein Zertifikat kaufen müssen, stellen sie ihre Produktion auf klimaschonendere Anlagen und Verfahren um. Das ist die Idee hinter dem 2005 gestarteten europäischen Emissionshandel. Die EU hat eine Obergrenze für den Ausstoß von Kohlendioxid festgelegt und entsprechend viele Emissionsrechte auf den Markt gebracht, die nun nach Bedarf ge- und verkauft werden können. Doch die Wirksamkeit des Mechanismus ist umstritten.

Wie wird der Emissionshandel die deutschen Erzeuger von Strom und Wärme in den kommenden Jahren beeinflussen? Setzen sie bei der Energieproduktion weniger auf die klimaschädliche Kohle? Und investieren sie in Erneuerbare Energien? Diesen Fragen ist Carola Hammer vom TUM-Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Controlling in ihrer Dissertation nachgegangen. 

Für verschiedene Szenarien berechnete sie mit einem Optimierungsmodell die Produktions- und Investitionsentscheidungen der Energiebranche. Dabei hat sie die technologischen Daten wie etwa Wirkungsgrad Lebensdauer und Betriebskosten der Anlagen in Deutschland und seinen Nachbarländern, Marktdaten wie Primärenergiepreise, Energienachfrage und Netzkapazität sowie Rahmenbedingungen wie klimapolitische Zielvereinbarungen, wirtschaftspolitische Regulierungen und die Marktstruktur einbezogen.

Das Ergebnis ihrer Analyse: Gäbe es den Emissionshandel nicht, würden die deutschen Energieproduzenten massiv in Kapazitäten für die Produktion aus Steinkohle investieren. Auch bedingt durch den Wegfall der Kernkraftwerke würde der Anteil der Stein- und Braunkohle an der gesamten Stromproduktion von rund 43 Prozent im Jahr 2009 auf circa 71 Prozent im Jahr 2020 steigen. Der Emissionshandel aber zeigt Wirkung auf das Portfolio der Erzeuger. 

Um seine Effekte in „Reinform“ abzubilden, hat Hammer zunächst ein Szenario analysiert, bei dem die derzeit existierenden Kreditförderprogramme für Investitionen in erneuerbare Energien herausgerechnet werden: In diesem Fall würden die Erzeuger zunächst ihre Kapazitäten in Biomassekraftwerken erweitern. Ab 2016 setzten sie dann stark auf Erdgas, das den Einsatz von Stein- und Braunkohle auf rund ein Drittel der Stromerzeugung zurückdrängen würde. 2020 würden etwa 36 Prozent des Stroms und 27 Prozent der Wärme aus Erdgas sowie rund 17 Prozent des Stroms und 39 Prozent der Wärme aus Biomasse produziert.

2013 beginnt die dritte Handelsperiode, in der die Menge an Emissionsrechten jährlich um 1,75 Prozent gesenkt wird und sich damit der Preis für ein Zertifikat tendenziell erhöht. „Ab 11 Euro pro Zertifikat fahren die Energieerzeuger die Biomasseproduktion hoch, ab 23 Euro die Erdgasnutzung. Und erst ab 26 Euro drosseln sie die Braunkohle-Verstromung“, sagt Carola Hammer. Zuletzt lag der Preis für ein Zertifikat bei unter 10 Euro.

Der Wandel würde in dem angenommenen Szenario weniger deutlich ausfallen, sollte im gleichen Zeitraum der europäische Binnenmarkt im Energiesektor, also vor allem die grenzüberschreitenden Netze, ausgebaut werden. Deutschland könnte und würde mehr Strom importieren, nicht zuletzt aus Frankreich. Weil es sich dabei überwiegend um Atomstrom handelte, für dessen Produktion die Erzeuger keine CO2-Ausstoß-Rechte benötigen, würde der Zertifikatspreis gedrückt werden. Statt 35 Prozent würde der Anteil der Kohle 2020 rund 40 Prozent an der Stromproduktion betragen.

Sein Ziel nahezu völlig verfehlen würde der Emissionshandel in Deutschland, wäre nicht der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen worden. Weil die Nachfrage nach Zertifikaten nicht hoch genug sein würde, stiege deren Preis nicht so weit, dass die Unternehmen ihren Anlagenpark umbauten. An der Stromproduktion würde sich bis 2020 deshalb lediglich der Biomasse Anteil geringfügig erhöhen, der Kohle-Anteil bliebe gegenüber 2009 beinahe gleich hoch. „Die Atomkraft ist keine Brückentechnologie, sondern eine Bremse für den Umbau des Portfolios“, urteilt Hammer.

Der Emissionshandel allein aber reicht nicht, um Deutschlands Ziel zu erreichen, bis 2020 aus Erneuerbaren Energien 30 Prozent der Stromnachfrage zu decken. „Der Bau von Windkraft- oder Geothermieanlagen ist so kapitalintensiv und mit so vielen Unsicherheiten verbunden, dass die konventionellen Anlagen selbst bei höheren Zertifikatspreisen noch attraktiver sind“, sagt Hammer. Deshalb werden sich die Erneuerbaren Energien nur durchsetzen, wenn die Förderprogramme, mit denen der Bund günstige Kredite zur Verfügung stellt, parallel zum Emissionshandel beibehalten werden. 

In diesem Fall werden die Erzeuger im Vergleich mit den anderen Szenarien insgesamt deutlich mehr in neue Anlagen investieren. Sie werden dabei neben Biomasse stark auf Windkraft für die Strom und auf Geothermie für die Wärmeproduktion setzen. Diese werden nach Hammers Modell 2020 Anteile von 23 beziehungsweise 33 Prozent an der jeweiligen Gesamtproduktion erreichen. „Nur mit dieser Kombination aus Zertifikatehandel und Marktanreizprogramm“, sagt Hammer, „schafft es Deutschland, den Anteil der Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien bis 2020 auf rund 47 Prozent zu steigern.“

Allerdings: Der CO2-Ausstoß wird dadurch nicht wesentlich reduziert. Denn die Betreiber von Windkraft- und Geothermieanlagen werden keine Zertifikate nachfragen, was deren Preis senkt. Damit wiederum entfällt der Anreiz für andere Energieproduzenten, von Kohle- auf Gaskraftwerke umzusteigen. Also wird 2020 zwar der Anteil der Erneuerbaren Energien auf Kosten der Kernkraft gestiegen sein, der Anteil der Stromproduktion aus Kohle aber wird mit rund 43 Prozent im Vergleich zu 2009 etwa gleich bleiben. Nur in der Wärmeproduktion sinkt dieser maßgeblich von rund 75 Prozent auf rund 55 Prozent. „Trotz der jährlichen Absenkung des Zertifikatangebots um 1,75 Prozent wird die Zertifikatmenge in der dritten Handelsperiode für eine Reduzierung des Kohleanteils im Kraftwerksportfolio immer noch zu hoch sein“, sagt Hammer.

In allen Szenarien schöpfen die Unternehmen die Gesamtmenge der Zertifikate aus und damit die von der Politik erlaubte Gesamtmenge an Kohlendioxid-Emissionen. Was variiert, sind die Kosten für die Unternehmen und damit möglicherweise die Energiepreise für die Endverbraucherinnen und Endverbraucher: Gäbe es die Kreditförderprogramme nicht, würden die Preise für Zertifikate steigen – während die aus Steuern finanzierte Förderung letztlich günstigere Emissionsrechte zur Folge hat. 

Quelle: Technischen Universität München (TUM)
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