Artikel vom 17.06.2010, Druckdatum 15.11.2024

DIW: Langfristig müssen wir aus Kohle und Atom aussteigen – EEG-Förderung zentrale Voraussetzung

Deutschland kann es schaffen, langfristig sowohl aus der Atomkraft als auch der Kohle auszusteigen. Die Stromerzeugung kann bis 2020 zu gut einem Drittel auf Erneuerbare Energien umgestellt werden, ohne die Stromrechnung der Verbraucher zu sehr zu belasten. Dies ist ein Ergebnis einer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) veröffentlichten Studie.

Will Deutschland seine Klimaschutzziele einhalten, wird dies allerdings nur unter zwei Bedingungen zu erschwinglichen Kosten gelingen: Zum einen müsste eine Verlängerung der Laufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke verhindern, dass als Ersatz neue Kohlekraftwerke gebaut werden. „Zum zweiten müssen wir an der Förderung der Erneuerbaren Energien festhalten“, so Claudia Kemfert, Leiterin der Energieabteilung am DIW Berlin. Sie rief die Bundesregierung dazu auf, endlich ein Energiekonzept vorzulegen. 

Bei der bisherigen Energieversorgung in Deutschland gibt es erheblichen Umbaubedarf: Zwei Drittel des Stroms werden heute in Atom- beziehungsweise Kohlekraftwerken erzeugt. Bei beiden Energieträgern ist ein Ausstieg geboten, bei Kohle aus Klimaschutzgründen, bei Atomkraft aus Sicherheitsgründen und aufgrund mangelnder Akzeptanz in der Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund untersucht die vom DIW Berlin veröffentlichte Studie folgende Fragestellungen: 

• Wie kann eine Brücke von einem auf Kernenergie und Kohle basierenden System zu einem auf erneuerbaren Energien basierenden System gebaut werden? 

• Wie wird sichergestellt, dass die Energieversorgung langfristig sicher bleibt, aber auch bezahlbar und klimaschonend?

Das DIW Berlin empfiehlt daher, die Energiepolitik künftig auf vier Pfeiler zu stellen: 

1. Die Förderung der erneuerbaren Energien muss gesichert werden. Sie stellt sicher, dass ein wachsender Anteil der Energieerzeugung aus einem Mix an erneuerbaren Energieträgern kommt und dass sich Investitionen in erneuerbare Energien lohnen. 

2. Keine neuen Kohlekraftwerke: Existierende Kraftwerke stellen gemeinsam mit dem Ausbau erneuerbarer Energien eine kontinuierliche Stromversorgung sicher. Ein Neubau von Kohlekraftwerken behindert dagegen den erforderlichen Systemwechsel zu erneuerbaren Energien und erschwert das Erreichen der Klimaschutzziele deutlich. 

3. Eine Integration der europäischen Strommärkte erlaubt die Verwendung aktueller Informationen, wie beispielsweise Windprognosen, zur besseren Nutzung der Stromnetze und erhöht somit die Versorgungssicherheit. 

4. Die Entwicklung und Verbreitung von Energiespeichersystemen und der Ausbau der Infrastruktur ermöglicht den wirtschaftlichen Betrieb eines Systems, das auf erneuerbaren Energien basiert. Diese Maßnahmen sollten unter anderem aus abgeschöpften Zusatzerlösen einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke finanziert werden. 

Politisch umstritten ist derzeit die künftige Förderung der erneuerbare Energien. Zwar wurden die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgeschriebene Einspeisevergütungen gerade gesenkt. Kritiker fordern jedoch eine noch schnellere Absenkung oder gar einen völligen Ausstieg. 

DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert warnte eindringlich vor einer solchen Entwicklung: „Die Förderung hat in Deutschland eine Technologiebranche geschaffen, die heute Windkraftanlagen und Photovoltaik Module in alle Welt exportiert. Ein Ausstieg aus dem EEG würde dieses junge Pflänzchen zerstören – und übrigens auch Hunderttausende Arbeitsplätze.“ Außerdem stelle das EEG sicher, dass Deutschland bei der Stromerzeugung in den nächsten Jahrzehnten einen nahezu vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien rechtzeitig einleiten könne.
Um die Kosten für Privathaushalte gering zu halten, plädierte Kemfert dafür, die Ausnahmen für Großverbraucher bei der Finanzierung der erneuerbaren Energien aufzuheben. „Werden die Kosten auf alle Verbraucher verteilt, sind die Belastungen im Schnitt geringer“ so Thure Traber, der Ko-Autor der Studie. 

Im Moment bezuschussen Privatkundinnen und -kunden die Einspeisung von Strom aus Wind, Sonne oder Biomasse mit zirka 2 Cent pro Kilowattstunde. Das sind etwa neun Prozent des Haushaltsstrompreises. Nach DIW-Prognosen werden es 2020 etwa 3,5 Cent sein. „Das belastet niemanden übermäßig“, so Claudia Kemfert. „Die monatliche Stromrechnung wird allenfalls um wenige Euro steigen, dafür erhalten wir die modernste Energieinfrastruktur Europas.“ 

Auch eine Laufzeitverlängerung der bestehenden Atomkraftwerke ist laut DIW-Studie hilfreich, wenn Deutschland seine Stromerzeugung in den nächsten Jahrzehnten nahezu vollständig auf erneuerbare Energie umstellen wolle. „Die Ökostrom Lobbyisten behaupten immer, es ginge darum, mit grüner Energie Atomkraft zu ersetzen“, so DIW-Expertin Claudia Kemfert. „Doch das ist nicht die Alternative“. Fast jedes zweite Kohlekraftwerk würde bei Festhalten am Kernenergieausstieg zeitgleich mit den Kernkraftwerken vom Netz gehen. „Wir müssen begreifen, dass wir nicht aus Kernkraft und Kohlestrom gleichzeitig aussteigen können. Es geht nicht um Sonne versus Atom, sondern um Atom versus Kohle.“ Kemfert betonte, die Atomkraft sei aus Sicherheitsgründen und wegen der ungelösten Endlagerfrage keine Zukunftsoption, sondern nur eine Übergangslösung. 

Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin)
                                                                 News_V2