Artikel vom 04.04.2008, Druckdatum 15.11.2024

Halbzeitbilanz für das Solartaxi: „Eine Reise voller Überraschungen“

Mitte März hat das Solartaxi den australischen Kontinent per Schiff Richtung Singapur verlassen. Diese Woche nun ist er im kleinsten Land Südostasiens angekommen. Nach genau acht Monaten und 21.359 Kilometern haben Louis Palmer und seine Crew die Hälfte ihrer Solar-Reise hinter sich. Zeit, eine erste – teilweise erstaunliche – Bilanz zu ziehen.

Am 2. April meldete sich das Solartaxi nach 14-tägiger Pause zurück. Das Team ist in Singapur angekommen und darf in der Schweizer Botschaft sein Quartier aufschlagen. Singapurs Presse stürzt sich begeistert auf das Solartaxi. Der Stadtstaat will Zentrum für Solarenergie werden, viele Unternehmen bauen hier und wollen große Geschäfte machen. Der Wissenschafts- und Umweltminister des Staats Melaka in Malaysia erwartet Louis Palmer mit gut 300 Leuten. Palmer: „Der Minister und ich halten die Ansprache im malaysischen Fernsehen gemeinsam: Solarenergie ist die Energie der Zukunft, die uns hilft, die globale Erwärmung zu stoppen. Wir sind beeindruckt von dem Engagement der Menschen. Man darf gespannt sein, was die Tigerstaaten sonst noch bereit halten.“

Ganz anders sah der Abschied in Perth und das Interesse am Thema Klimaerwärmung in Australien aus, wie Louis Palmer feststellen musste: „Die Zieleinfahrt in Perth war spektakulär. Viele Freunde, Bekannte, Mitglieder des Elektroautoverbands und sogar eine Schulklasse geben einen herzlichen Empfang.“ Doch von einem angekündigten Filmteam ist weit und breit nichts zu sehen. Palmer fragt nochmal telefonisch nach. Antwort: „All right, ich muss mal schnell schauen, ob die Leute interessiert sind.“ Mit fast zwei Stunden Verspätung kommt dann doch noch ein Kameramann. Er dreht ruckzuck die Szene ab und verspricht, am Abend sei die Szene in den Nachrichten. Palmer: „Ich war gespannt – und entsprechend enttäuscht, als das Solartaxi mit keinem Wort erwähnt wurde. Auch die Zeitungen in Perth sagen ab. Sie haben kein Interesse.“ 

Nach einigen Wochen „down under“ zieht Louis Palmer – zumindest was Australien betrifft – eine nüchterne Bilanz: „Australien mag eine neue Regierung haben und viele, engagierte Bürgerbewegungen sowie ein neues Einspeisungsgesetz für Solarenergie Doch alle, denen wir begegnen, bestätigen uns eines: Von Pressevielfalt ist keine Rede in diesem Land, und erneuerbare Energien erhalten in der Presse viel zu wenig oder gar keinen Platz. Auch wir haben dies bereits festgestellt: Selbst das Sustainable Living Festival in Melbourne, wo wir unser Solartaxi drei Tage lang ausgestellt hatten, hatte kaum oder gar keine Erwähnung in der Presse Melbournes erhalten. Eine Veranstaltung mit 120.000 Teilnehmern wurde behandelt, als ob sie nie stattgefunden hätte.“ Australien ist nach Ansicht von Palmer ein Land, in dem „Visionäre und Bremser gleichermaßen zu Hause sind“. 

Mit der Abfahrt in Perth ist die erste Hälfte der Reise geschafft: Nach genau 21.359 Kilometern und acht Monaten Unterwegssein hätten sie „keine Minute gezweifelt“, dass sie es schaffen, notiert Palmer in seinem Solartaxi-Tagebuch. Nochmals gut 20 Länder und mindestens 25.000 Kilometer quer durch den Fernen Osten, Nordamerika und Westeuropa liegen noch vor ihnen. Zeit, Halbzeitbilanz zu ziehen, findet Palmer. Eine Reise voller Überraschungen sei die Fahrt mit dem Solartaxi bisher gewesen, „kaum etwas verlief so, wie wir es uns eigentlich vorgestellt hatten: 

Dass es ein Land gibt, wo sich kein Mensch nach dem Solartaxi umdreht? Unmöglich! Doch das gibt's – im Libanon! 

Und das Land mit der (subjektiv gefühlten) größten Akzeptanz für kleine Elektroautos muss wohl in Europa sein? Fehlanzeige, ganz klar Indien, gleichzeitig das Land mit den meisten Staus, der größten Armut und den meisten Verkehrstoten, 100.000 pro Jahr. 

Die kooperativste Regierung, die uns 24 Stunden lang eine Polizeieskorte und eine 24-Stunden-Hotline zum Minister eingerichtet hatte, fanden wir ausgerechnet im sonst so gefürchteten Syrien. 

Und auf der ganzen Reise fanden wir nur zwei Länder, die eine ganze Bürokratie für die Straßenverkehrszulassung für das Solartaxi in Bewegung setzten: Neuseeland und Australien, wo die Straßen am leersten sind. 

Dass Schlaglöcher die Reise zur Qual machten, erlebten wir übrigens nicht nur in Indien, sondern auch in der EU, in Ungarn und Bulgarien. 

Und die meisten begeisterten Zeitungsberichte übers Solartaxi fanden wir ausgerechnet in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo das Erdöl nur so sprudelt. 

Das Land, wo die Nutzung der Solarenergie am populärsten ist? Nein, nicht Deutschland, sondern die Türkei. Fast jedes Hausdach nutzt die Sonne für Warmwasser. 

Und wo ist die Solarenergie am wenigsten verbreitet? Ausgerechnet in den Sonnenländern Saudi-Arabien und Australien. 

Das Land, in dem das Solartaxi unzählige Male von der Polizei aus lauter Neugier gestoppt wurde, war die Türkei. 

Und wo die Polizei uns fast nicht fahren ließ, obwohl alles legal war: Australien.“

Nach der Hälfte seiner Reise voller Überraschungen ist sich Palmer sicher: „Überall, ob arm oder reich, Erdöl oder nicht - das Thema ist ins Bewusstsein der Menschen vorgedrungen.“ Doch auch wenn es die ganze Menschheit nun wisse, dass das Klima kippt: Noch fehle es an allen Ecken und Enden an einem: „Wo sind die konkreten Schritte zur Reduktion der Treibhausgase? Wenn immer ich Politiker, Leader und Wissenschaftler danach frage, so sind die Antworten gespickt mit den Wörtchen „wir sollten...“, „wir müssten...“, „wir könnten...“, „wir wissen…“. Das ist das Einzige, was mich bisher wirklich erschreckt und besorgt“, so Palmer. 

Doch noch immer überwiegt die Zuversicht: Auch das Projekt Solartaxi habe zur Halbzeit weitere Weichen für die Zukunft gestellt, und zukunftsfähige und bahnbrechende Projekte, die während der Reise durch die Besuche entstanden sind, seien in der Pipeline, notiert Palmer. Und wer immer das Solartaxi und seine Crew auf den nächsten 25.000 Kilometern – oder Teilen davon – begleiten will, ist nach wie vor herzlich dazu eingeladen. Mehr Infos dazu hier

Quelle: Louis Palmer, SPIEGELonline
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