Artikel vom 22.09.2012, Druckdatum 15.11.2024

Vom Schutz der Ökosysteme profitiert die ganze Gesellschaft

Die Erfassung und Kartierung von Ökosystemdienstleistungen ist von zentraler Bedeutung, um die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu bremsen. Ohne dieses konzeptionelle und methodische Handwerkszeug ist es kaum möglich, Ökosystemdienstleistungen angemessen in Politikprozesse einzubinden. Das ist die Kernaussage einer neuen europäischen Studie, die klar macht: Der Erhalt unserer ökologischen Lebensgrundlage gelingt nur dann, wenn die betroffenen Menschen und ihr Wissen vor Ort bei Entscheidungen über Ökosystemdienstleistungen beteiligt werden.

Zu den sieben Umweltforschungszentren, die sich im Verbund PEER (Partnership for European Environmental Research) zusammengeschlossen und diese Studie gemeinsam erstellt haben, gehört auch das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Die Ergebnisse der Studie „PEER Research on EcoSystem Services (PRESS)“ wurden am 13. September auf einem internationalen Expertenforum in Brüssel präsentiert, das die Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission bei der Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie unterstützen soll. Seit Montag ist der Report für alle Interessierten frei zugänglich.

Die PRESS-Studie startete 2010 und zeigt, dass Europas Forscherinnen und Forscher – einschließlich der Sozialwissenschaftler/innen, Ökonom/innen und Ökolog/innen – ihr Wissen kombinieren können, um natürliche, soziale und ökonomische Werte von Ökosystemdienstleistungen zu erfassen. Die Studie widmete sich vor allem den Dienstleistungen Bestäubung, Erholung und Wasserreinigung, die die Natur tagtäglich kostenlos erbringt. Dabei zeigte sich auch, dass die Bewertung der Auswirkungen von Politikmaßnahmen abhängig von Raum und Ebene der Betrachtung und Analyse ist. 

„Hier bietet sich ein multi-skaliger Ansatz an, wie er in diesem Bericht erarbeitet worden ist. Wir konnten zeigen, dass mit dem Konzept der Ökosystemdienstleistungen eine umfassende und systematische Analyse der Auswirkungen von Politik auf Ökosysteme und ihre Dienstleistungen möglich ist“, erklärt Dr. Jennifer Hauck vom UFZ.

Ziel des jetzt veröffentlichten Reports ist es, zu einem besseren Verständnis beizutragen, wie Ökosysteme wesentliche Leistungen für unsere Gesellschaft erbringen. Dabei konzentrieren sich die Forscherinnen und Forscher auf vier Kernbotschaften an die Politik: 

1. Feuchtgebiete, Flüsse, Bäche und Seen sind essentiell für die Trinkwasserversorgung, um Schadstoffe zu entfernen oder zu binden und damit die Kosten zu senken, die eine ausschließlich auf Technik basierende Abwasserbehandlung verursachen würde. Eine umweltverträglichere Agrarpolitik und der Erhalt von Feuchtgebieten beinhalten erhebliche positive Effekte auf die Wasserreinigung, damit für die Wasserqualität und folglich für die Gesellschaft. 

2. Erholung in der Natur ist für viele Menschen einer der am stärksten wahrgenommen Nutzen von Ökosystemen. Die PRESS-Studie bestätigt die hohen Besuchsraten in Naturgebieten, besonders in Wäldern. Auf nationaler Ebene bewegt sich der Wert von Wäldern zur Erholung in Bereich von mehreren Milliarden Euro. Werden die positiven Effekte für die menschliche Gesundheit dazu gerechnet, dann steigt dieser Wert weiter. Städtische Grünflächen wie Parks haben ebenfalls ein hohes Erholungspotenzial. Die Studie schlägt daher Methoden vor, wie Kommunen am effizientesten in diese Grünflächen investieren könnten. 

3. Insekten wie Bienen und Hummeln sind hauptverantwortlich für die Bestäubung und damit für die Produktion von Obst und Gemüse in Europa. Zwar liegen schon einige Daten vor, um die Bestäubungsleistung durch Tiere erfassen und kartieren zu können, allerdings muss weitere Forschung zeigen, wie empfindlich die Bestäuber auf Umwelteinflüsse reagieren. Diese Informationen sind notwendig, um die gute fachliche Praxis zur Erhaltung der Lebensräume und der Nahrungsgrundlage der Bestäuber zu sichern. 

4. Die Kartierung, Erfassung und Bewertung von Ökosystemdienstleistungen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Die Studie stellt fest, dass politische Entscheidungen vielfältige gewollte, aber auch ungeplante Auswirkungen auf Ökosysteme und die Dienstleistungen, die sie zur Verfügung stellen, haben.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der PRESS-Studie empfehlen, dass neue Politikmaßnahmen flexibel im Design sein sollten und kontinuierlich auf ihre Auswirkung hin überprüft werden müssen. Nur so kann negativen Auswirkungen rasch begegnet und auf neue Sachverhalte reagiert werden. 

„Um ein aktuelles Beispiel zu nehmen: Die Diskussion um die Reformen der Agrarpolitik für 2013 zeigt deutlich, dass die EU nach Wegen suchen sollte, um die Auswirkungen ihrer Politik zu überprüfen, mit dem Ziel, sie künftig schneller und effektiver korrigieren zu können als es momentan der Fall ist“, sagt Dr. Jennifer Hauck vom UFZ. Dies gilt vor allem für die Ziele der Politik, die messbar gestaltet sein müssen, um den Fortschritt überprüfen zu können.

„Die Umsetzung der Biodiversitätsstrategie erweist sich letztlich auch deshalb als so schwierig, weil die Zwischenziele nur schwer messbar sind“, ergänzt Prof. Kurt Jax vom UFZ. „Die Erhaltung unserer ökologischen Lebensgrundlage gelingt nur dann, wenn die betroffenen Menschen vor Ort bei Entscheidungen über Ökosystemdienstleistungen beteiligt werden.“

Deshalb hat die EU-Kommission in diesem Jahr zwei große Forschungsprojekte bewilligt, die sich mit der Umsetzbarkeit des Konzepts der Ökosystemdienstleistungen in verschiedenen Politikfeldern beschäftigen. Die Projekte mit den Akronymen OpenNESS und OPERAs werden ab Dezember 2012, unter maßgeblicher Beteilung von Wissenschaftler/innen des UFZ, interdisziplinäre und politikrelevante Forschung leisten, unter Einbeziehung der potenziell von Entscheidungen zu Ökosystemdienstleistungen betroffenen Personengruppen.

Mehr als 100 Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher natur- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen arbeiten im UFZ an Fragen rund um die Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen. Dazu klären sie grundlegende Zusammenhänge auf – beispielsweise, wie sich Flächenverbrauch, Landschaftszerschneidung, biologisch invasive Arten oder der Klimawandel auf Tier und Pflanzenpopulationen und die Funktionen von Ökosystemen auswirken. 

Sie wollen herausfinden, ob eine höhere genetische Vielfalt und eine größere Artenvielfalt tatsächlich dafür sorgen, dass Ökosysteme stabiler sind und Veränderungen besser abpuffern können. Sie betrachten die biologische Vielfalt aus ökonomischer Sicht, stellen Vor- und Nachteile von Entscheidungen – also Nutzen und Kosten – gegenüber und liefern damit systematische Grundlagen, wie mit dem knappen Gut Biodiversität ökonomisch umgegangen werden kann. So koordinierte das UFZ die globale UN-Studie zur Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität (TEEB) und ist Partner im neu gegründeten Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). 

Quelle: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
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