Artikel vom 30.06.2012, Druckdatum 15.11.2024

Nobelpreisträger diskutieren Zukunft der Energieversorgung

Wie kann angesichts der doppelten globalen Herausforderung von drohender Energieknappheit und Erderwärmung die Energieversorgung der Zukunft aussehen? Das wird eine kontrovers diskutierte Kernfrage der 62. Lindauer Nobelpreisträgertagung sein, die in diesem Jahr der Physik gewidmet ist. 27 Nobelpreisträger/innen und mehr als 580 Nachwuchswissenschaftler/innen aus aller Welt nehmen teil.

Energie ist die Basis unseres Wohlstands. Der weltweite Energieverbrauch hat sich während des 20. Jahrhunderts versechzehnfacht und steigt weiter steil an. Bisher werden rund 80 Prozent dieses Bedarfs durch Erdöl, Erdgas und Kohle gedeckt. Der Vorrat dieser fossilen Brennstoffe ist aber endlich und wird in spätestens 200 Jahren erschöpft sein. Zudem erzeugt ihre Verbrennung Kohlendioxid, das heute als Hauptursache des Klimawandels gilt. Bei der 62. Lindauer Nobelpreisträgertagung diekutieren 27 Nobelpreisträger/innen und mehr als 580 Nachwuchswissenschaftler/innen aus aller Welt diese Fragen.

Das „Anthropozän“ ist ein Schlüsselbegriff im derzeitigen ökologischen Diskurs. Als Fortsetzung der geologischen Epoche des Holozäns bezeichnet er den Zeitraum seit der Erfindung der Dampfmaschine (1784) und dem Beginn der industriellen Revolution, in dem der Mensch seine Umwelt tiefgreifend umgestaltet. „Geologie der Menschheit“ betitelte Paul Crutzen, Chemienobelpreisträger des Jahres 1995, seinen Artikel in der Fachzeitschrift „Nature“, in dem er vor zehn Jahren diesen Begriff prägte. In seinem Lindauer Vortrag „Atmospheric Chemistry and Climate in the Anthropocene“ skizziert Crutzen, wie sich die Erdatmosphäre im Anthropozän verändert. 

Dass es in der Macht der Wissenschaft stehen kann, der Umweltzerstörung durch den Menschen Einhalt zu gebieten, haben Crutzen und seine Co-Laureaten Mario Molina und F. Sherwood Rowland am Beispiel ihrer eigenen Forschung erfahren. Sie hatten bereits in den 1970er Jahren nachgewiesen, dass die meist durch natürliche Mikroorganismen gebildeten Stickoxide und viel stärker noch die industriell hergestellten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) die lebenswichtige Ozonschicht der Erde zerstören. 

Das führte zunächst nur zu begrenzten Einschränkungen im FCKW-Gebrauch. Als aber 1985 das „Ozonloch“ über der Antarktis entdeckt wurde, bestätigte das ihre Forschungsergebnisse auf dramatische Weise. Die Politik war weltweit alarmiert: 1989 trat das völkerrechtlich verbindliche Montreal-Protokoll in Kraft, dessen Unterzeichnerstaaten sich dazu verpflichteten, die Herstellung und Emission von ozonschädigenden Substanzen zu beenden.

Mario Molina wird in seinem Vortrag „The Science and Policy of Climate Change“ ausführen, dass man mit mehr als 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit sicher sein dürfe, dass es ein durch den Menschen verursachter Klimawandel sei, der schon heute extreme Wetterereignisse wie Dürreperioden, Überflutungen und Wirbelstürme verursache. Um die Treibhausemissionen zu senken, müsse man beispielsweise im Straßenverkehr, im Wohnungsbau und in der industriellen Produktion eine weitaus höhere Energieeffizienz erzielen, sichere Kernenergie nutzen und erneuerbare Energiequellen wie Sonne Wind, Geothermie und Biomasse breit erschließen. 

Dazu gibt es auch konträre Meinungen. Ivar Giaever, Physiknobelpreisträger des Jahres 1973, gehört etwa zu den Wissenschaftlern, in deren Augen es an Beweisen für einen globalen Klimawandel mangelt, wie er in seinem Vortrag „The Strange Case of Global Warming“ darlegen wird. Das sieht Hartmut Michel nicht so. Er hält aber wenig von der energetischen Nutzung pflanzlicher Biomasse Dies wird er in seinem Vortrag „Photosynthesis, Biomass, Biofuels: Conversion Efficencies and Consequences“ zeigen. Für die Aufklärung der dreidimensionalen Struktur eines Reaktionszentrums der Photosynthese hatte er 1988 zusammen mit Johann Deisenhofer und Robert Huber den Chemienobelpreis erhalten. 

Die Photosynthese sei zwar die Voraussetzung höheren Lebens auf unserer Erde, arbeite aber mit äußerst geringer Effizienz, wenn sie die Energie des Sonnenlichts in Pflanzenbestandteile umwandelt. So enthielten Treibstoffe, die aus der Biomasse gewonnen werden, die auf einem Hektar angebaut wird, nur 0,4 Prozent der Sonnenenergie die diese Fläche bestrahlt hat. Photovoltaische Zellen, die das Sonnenlicht in elektrische Energie umwandeln, nutzten die gleiche Fläche mindestens 50-mal effizienter. 

Mit dem daraus gewonnenen Strom Batterien für Elektrofahrzeuge aufzuladen, sei also sinnvoller, als Verbrennungsfahrzeuge mit Biosprit zu betanken. Allerdings bleibt die Kapazität von Fahrzeugbatterien trotz aller Fortschritte in der Lithium-Ionen-Technologie nach wie vor limitiert. Ähnliche Probleme gibt es generell bei der Speicherung von Energie, die die entscheidende Voraussetzung für die Nutzung erneuerbarer Energien ist.

Denn weder Sonne noch Wind richten ihr Energieangebot nach der Nachfrage, wie das Kohle- oder Kernkraftwerke durch das Regeln ihrer Leistung tun können. Der Strom den sie erzeugen, muss entweder sofort zum Verbraucher transportiert oder zwischengespeichert werden, sonst geht er verloren. Robert Laughlin, 1998 für seinen Beitrag zur Quantenphysik mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, setzt deshalb für die Energieversorgung der Zukunft auf einen Mix aus Kernkraft und Sonnenkraft. 

Die Wärmeenergie der Sonne könne am besten in Form von geschmolzenem Salz gespeichert werden. Auch auf dem Meeresboden installierte Pumpspeicher hält er für machbar. Treibstoffe lassen sich seiner Meinung nach aus Müll und Algen, Gas aus dem in der Massentierhaltung anfallenden Mist produzieren. Das wird Laughlin in seinem Vortrag „Powering the Future“ erläutern. 

So heißt auch sein jüngstes Buch, dessen deutsche Fassung unter dem Titel „Der Letzte macht das Licht aus“ erschienen ist. Es beschreibt in Form eines Science-Fiction-Berichtes, wie die Menschen im Jahr 2212 leben werden, wenn alle fossilen Brennstoffe aufgebraucht worden sind. Dabei klammert Laughlin den Klimawandel aus – zum einen, weil er dessen politischen Implikationen ausdrücklich ausweichen will, zum anderen, weil er ihn mittelfristig für weniger bedrohlich hält als die absehbare Energieknappheit: „Die Klimakrise wird eine Rolle spielen, doch die Krise unzureichender Energievorräte wird vorher auftreten, und sie wird schrecklich sein,“ meint er und befürchtet, dass auch in Zukunft niedrige Energiekosten im Zweifel dem Umweltschutz vorgezogen werden. 

Carlo Rubbia, Physiknobelpreisträger des Jahres 1984, befürwortet ähnlich wie Laughlin den Ausbau von thermischen Solarkraftwerken, wie sie beispielsweise in Andalusien bereits betrieben werden. Darüber hinaus plädiert er für den Bau von Thorium-Hochtemperaturreaktoren als einer sicheren Variante der Kernkraft. So brauche man für die gleiche Leistung nicht nur 200-mal weniger Thorium als Uran. Thorium habe auch eine deutlich kürzere Halbwertszeit und könne nicht zum Bau von Atomwaffen zweckentfremdet werden. Als Brücke in die Zukunft galt ein solcher Reaktor schon seit 1985 im nordrhein-westfälischen Hamm-Uentrop, der indessen nach der Katastrophe von Tschernobyl stillgelegt und abgerissen wurde. 

Laughlin und Rubbia werden ihre Thesen und die ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse bei einer Podiumsdiskussion zum Abschluss der diesjährigen Nobelpreisträgertagung unter dem Titel „Die Zukunft der Energieversorgung und -speicherung“ am Freitag, dem 6. Juli, ab 11:00 Uhr auf der Insel Mainau erläutern. Ihre Gesprächspartner auf dem Podium sind Georg Schütte, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, und Martin Keilhacker, Leiter des Arbeitskreises Energie in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

Weiterführende Informationen:

Das Programm der 62. Lindauer Nobelpreisträgertagung, Hintergrundinformationen zu den teilnehmenden Laureaten und Abstracts/Zusammenfassungen ihrer Vorträge sind verfügbar in der Lindauer Mediathek: www.mediatheque.lindau-nobel.org/#/Meeting?id=284. Sie umfasst außerdem Tonmitschnitte und Videos der Vorträge von Nobelpreisträgern aus der über 60jährigen Geschichte der Lindauer Tagungen. Mit ergänzenden Hintergrundinformationen, Fotos, Verlinkungen thematisch verwandter Inhalte und didaktisch aufbereiteten „Mini-Lectures“ ist die Lindauer Mediathek für Forscher/innen, Wissenschaftsinteressierte, Journalist/inneen und Pädagog/innen gleichermaßen interessant.

Die Lindauer Nobelpreisträgertagungen:
An der 62. Lindauer Nobelpreisträgertagung (Physik) vom 1. bis 6. Juli 2012 nehmen 27 Nobelpreisträger/innen und über 580 Nachwuchswissenschaftler/innen aus 69 Ländern teil. Zu den Themen gehören die Kosmologie, die Teilchenphysik sowie die Herausforderung einer nachhaltigen Energieversorgung und die Klimafrage. 

Die Nobelpreisträgertagungen finden seit 1951 jährlich in Lindau statt. Sie werden vom 1954 gegründeten Kuratorium für die Tagungen der Nobelpreisträger in Lindau e.V. und der im Jahr 2000 gegründeten Stiftung Lindauer Nobelpreisträgertreffen am Bodensee ausgerichtet. Der Stifterversammlung der Stiftung gehören mehr als 250 Nobelpreisträger an.

Verfolgen Sie die Lindauer Tagungen online
Blog: http://lindau.nature.com/
Twitter: http://twitter.com/#!/lindaunobel
Facebook: http://www.facebook.com/LindauNobelLaureatesMeeting

Quelle: Kuratorium für die Tagungen der Nobelpreisträger in Lindau e.V.
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