Artikel vom 22.08.2006, Druckdatum 15.11.2024

„Lieber Weltverbesserin als Weltverschlechterin“

„Wie kann die Menschheit die nächsten 100 Jahre überleben?“, fragte vor wenigen Wochen der britische Physiker Stephen Hawking in einem Internet-Forum von Yahoo. Über 25.000 Menschen antworteten ihm. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat zehn bekannte Deutsche um ihre Antwort gebeten. Darunter Prof. Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, den Philosophen Peter Sloterdijk und die evangelische Bischöfin Margot Käßmann.

Er glaube, dass die Menschheit mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit die nächsten hundert Jahre überleben werde, antwortete beispielsweise Prof. Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, auf die Frage. Allerdings klinge dies optimistischer als es in Wahrheit sei, denn es bedeute auch, dass es mit einer Chance von 1:10 schief gehen könne. Asteroiden, Supernovas, Atomwaffen, Krieg und Terrorismus zählt er als mögliche Gefahren auf. 

Die realistischste Gefahr für die Menschheit geht seiner Meinung nach jedoch von der globalen Erwärmung aus. „Der anthropogene Klimawandel kann die Qualität unseres Lebens erheblich vermindern. Im schlimmsten Fall verursachen und erleben wir einen so genannten galoppierenden Treibhauseffekt bei dem sich die Folgen des Klimawandels gegenseitig aufschaukeln. Beispielsweise könnte das Grönlandeis schmelzen und dadurch wiederum Meeresströmungen zum Erliegen bringen; die Ozeane würden daraufhin weniger Kohlendioxid aufnehmen, und der Treibhauseffekt würde sich weiter verstärken“, so der Klimaforscher gegenüber der „Zeit“. 

„Nachhaltige Technologie, nachhaltige Wirtschaft, nachhaltiger Konsum“. So lautet die Empfehlung von Ernst Ulrich von Weizsäcker, Dekan der Donald-Bren-Umwelthochschule, University of California, Santa Barbara, auf die Frage, wie die Menschheit die nächsten 100 Jahre überleben kann. Jahrhundertelang sei die Technikentwicklung durch „Expansion, Raubbau und die Überwindung moralischer Schranken“ gekennzeichnet gewesen. Der Markt belohne Geschwindigkeit, „also Bedenkenlosigkeit“, so der Wissenschaftler. Es sei möglich und es werde zwingend, Techniken zu entwickeln, die mit den knappen natürlichen Ressourcen gut zehnmal so effizient umgehen wie die heutigen.

Der Philosoph und Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Peter Sloterdijk, teilt Hawkings Besorgnisse völlig. Mit seiner Frage bekenne dieser sich zu der Beobachtung, dass es manifeste Selbstzerstörungstendenzen in der Welt gebe. Sloterdijk beschreibt die derzeitige Haltung der Weltgemeinschaft als „mit Höchstgeschwindigkeit frontal auf eine Betonmauer zurasen“. Weil der Moment des Aufpralls eine Weile entfernt sei, bleibe man auf dem Gaspedal. Die Gesellschaft der letzten Menschen verbrauche ihre Zukunftschancen mit dem besten Gewissen. Sie täte es in der Annahme, die Lösungen wüchsen so schnell wie die Probleme, so Sloterdijk.

Ein wichtiger Beitrag zur Rückgewinnung von Zukunft bestünde nach Ansicht der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Prof. Aleida Assmann darin, „eine ,2000-Watt-Gesellschaft’ zu werden“. Seit 1950 hätten sich gewisse zivilisatorische Annehmlichkeiten verbreitet, die den Energieverbrauch – zumal in der westlichen Welt – gesteigert hätten. Derzeit würden in den USA pro Person pro Jahr 10.300 Kilowattstunden verbraucht, in Europa 5.000 Kilowattstunden.

Eine „Globalisierung der Verantwortung, der Nächstenliebe und der Ethik“ fordert die evangelische Bischöfin Margot Käßmann als Antwort für die Herausforderungen der nächsten 100 Jahre. „Während das Zeitalter der Globalisierung fröhlich als Fortschritt gepriesen wird, geht es doch zurzeit allzu offensichtlich nur um um Geld und Macht. Da werden Menschen in Asien als ,Märkte’ angesehen, da werden ,billige Arbeitskräfte’ zum ,Standortfaktor’ und ganze Länder zu ,Achsen des Bösen’.“ Sie gehöre damit vielleicht zur Kategorie „Gutmensch und Weltverbesserer“. „Aber lieber lasse ich mich so betiteln, als ein Bösmensch und eine Weltverschlechterin zu sein.“

„Wir bräuchten dringend eine Art »ManhattanProjekt«, bei dem die 100 bis 200 weltbesten Wissenschaftler einige Jahre in einem virtuellen Kolleg zusammenarbeiten, um zu erforschen, ob der Worst Case tatsächlich eintreten kann“, so der Klimaforscher Schellnhuber. „Und wenn die Antwort ,Ja’ lautete, müssten wir schnellstmöglich eine neue Weltgesellschaft erfinden, klimafreundliche Städte bauen, die Landwirtschaft auf Energieproduktion umstellen, riesige Solarfelder und CO2-Speicher errichten. Wir haben die Potenziale, die globale Erwärmung zu bremsen, da bin ich optimistisch. Nur was unsere Fähigkeit anbelangt, diese Potenziale zu nutzen, bin ich schon skeptischer. Wenn wir hier versagen, dann könnte der Klimawandel indirekt doch noch zur Auslöschung der Menschheit führen: Ein Gemisch aus Kernwaffengebrauch, Terrorismus und Umweltkonflikten um Boden, Energie und Wasser könnte uns am Ende ausradieren.“

Quelle: ZEIT online (17.08.2006)

Autorin: Petra Forberger für www.solarportal24.de


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