Artikel vom 14.12.2009, Druckdatum 15.11.2024

Handelsblatt: „Deutscher Umweltminister will Solarbranche im eigenen Land Hahn abdrehen“

Die Welt ringe in Kopenhagen um die Verringerung der Treibhausgase und ausgerechnet der neue deutsche Umweltminister wolle der Solarbranche im eigenen Land den Hahn abdrehen, kommentiert das Handelsblatt den jüngsten Vorstoß von Bundesumweltminister Norbert Röttgen, die Einspeisevergütung für Photovoltaik deutlich zurückzufahren. Es sei das „falsche Signal nach Kopenhagen“. Gerade Deutschland sei beim Thema regenerative Stromgewinnung heute auch deshalb an der Spitze, weil die Entwicklung entsprechender Technik gefördert worden ist.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) will die staatliche Förderung von Solarstrom kräftig beschneiden. „Es wird eine Anpassung geben, weil wir eine Marktentwicklung haben, die zu einer klaren Überförderung geführt hat“, erklärte der Minister gegenüber dem Handelsblatt. „Ziel ist es, einen Mechanismus zu entwickeln, der flexibel auf Marktentwicklungen reagiert. Die derzeitige Regelung ist einfach zu starr“, sagte Röttgen. 

Gemeinsam mit Branchenvertretern und Verbraucherschützern wolle man nach Lösungen suchen, kündigte Röttgen an. Dass sie grundsätzlich bereit ist, die Solarstromförderung zu beschneiden, hatte die neue Regierung aus CDU/CSU und FDP schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben, ohne sich auf bestimmte Details festzulegen. Röttgen deutete gegenüber dem Handelsblatt jetzt an, dass er auch vor einer grundsätzlichen Korrektur des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nicht mehr zurückschrecke. 

Der Minister greife damit die Kritik an der Förderung des Sonnenstroms durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf, heißt es im Handelsblatt weiter. Kritik, die nicht zuletzt vonseiten der konventionellen Energiewirtschaft und ihr nahestehender Wirtschaftsinstitute wie dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) kommt. Dort wurde vor Kurzem behauptet, das Erneuerbare-Energien-Gesetz verursache „sehr hohe Kosten“, entfalte aber „keine der erhofften positiven Wirkungen“.

Doch: Auch Strom aus fossilen Quellen (also Erdöl, Erdgas oder Kohle) oder aus Atomkraft wurde schon immer und wird auch weiterhin kräftig subventioniert. So kostete nach Berechnungen von Greenpeace die Nutzung der Atomenergie in Deutschland die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger von 1950 bis 2008 mindestens 165 Milliarden Euro an staatlichen Fördermitteln (u.a. direkte Finanzhilfen des Bundes wie Forschungsförderung, Kosten für den Betrieb der Atommüllendlager oder die Stilllegung der ostdeutschen Atommeiler, Steuervergünstigungen, beispielsweise die Nichtbesteuerung bis 2006 im Vergleich zu anderen Energieträgern, sowie budgetunabhängige Leistungen). Damit finanzieren die Steuerzahler jede Kilowattstunde Strom mit rund 4 Cent zusätzlich zum Strompreis.

Zudem – und das ist im Hinblick auf die Verhandlungen in Kopenhagen wichtig – erschien Strom aus fossilen Quellen nur deshalb viele Jahre als eher „günstig“, weil bestimmte durch deren Verbrennung verursachte Kosten wie Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschäden, einfach nicht offiziell mit eingerechnet wurden. Und auch die Atomenergie ist keine CO2-freie Technologie. Wer den gesamten Lebenszyklus von Atomkraftwerken betrachtet – vom Uranabbau über die Anreicherung bis hin zur Endlagerung – stellt fest, dass auch bei der Produktion von Atomstrom CO2 freigesetzt wird. 

Der mit Abstand größte Nutzen des Einsatzes von Erneuerbaren Energien ergibt sich laut Berechnungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) jedoch aus den wegen der CO2-Einsparung vermiedenen Schäden infolge des Klimawandels. „Bei einer ehrlichen Rechnung, die die Entlastungseffekte einbezieht, kommen wir eher auf eine dämpfende Wirkung der Erneuerbaren Energien als eine den Preis treibende“, sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. 

Ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion um die Subventionierung Erneuerbarer Energien gerne vergessen wird: Deutschlands Solarbranche zeigte in den letzten Jahren ein rasantes Wachstum, es wurde viel in Forschung und Entwicklung, neue Solarfabriken und die Schaffung neuer Arbeitsplätze investiert. Dadurch flossen dem deutschen Steuersäckel allein 2008 Steuereinnahmen in Höhe von knapp drei Milliarden Euro zu. Zu den Steuereinnahmen kommen weitere volkswirtschaftliche Effekte, die nach Einschätzung der Solarindustrie von Kritikern oft unberücksichtigt bleiben. So summiert sich nach Berechnungen des Ingenieurbüros für neue Energien der volkswirtschaftliche Nutzen durch vermiedene Importe von Gas, Kohle und Uran bis 2030 auf über 100 Milliarden Euro. Hinzu kommen in diesem Zeitraum vermiedene Klimaschadenskosten von rund 35 Milliarden Euro.

Besonders geschickt sei es nicht, so kurz vor der entscheidenden Phase der Klimaverhandlungen in Kopenhagen derlei Pläne zu verkünden, kommentiert daher das Handelsblatt Röttgens Vorpreschen. Schließlich komme es jetzt vor allem auf die Vorbildfunktion der Industrieländer an. Deutschland sei beim Thema regenerative Stromgewinnung heute auch deshalb an der Spitze, weil die Entwicklung entsprechender Technik gefördert worden sei. Norbert Röttgen sollte nach Ansicht des Handelsblatts daher jede Chance nutzen, Umwelttechnik made in Germany ebenso zu fördern wie CO2-freie Stromproduktion. 

Übrigens: Eine Umfrage des Immobilienportals Immowelt.de hat vor Kurzem ergeben, dass über zwei Drittel aller Deutschen Überlegungen der Bundesregierung, den Solarstrom künftig weniger zu fördern, ablehnen. 69 Prozent der Befragten sprachen sich gegen etwaige Pläne von Schwarz-Gelb aus, die Einspeisevergütung für Solarstrom erheblich zu senken.


Quelle: Handelsblatt, Greenpeace, Ökoinstitut, BMU, Immowelt.de
                                                                 News_V2